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Wenn die neue Therapie aufs Gemüt schlägt: ECFS-Webinar zu psychosozialen Auswirkungen von Kaftrio

Die Dreifachtherapie kombiniert die Wirkstoffe Tezacaftor, Elexacaftor und Ivacaftor. Foto: Mukoviszidose e.V.
Seit 2020 ist Elexacaftor/Tezacaftor/Ivacaftor (ETI; Kaftrio) in Europa zugelassen. Während in den klinischen Studien keine psychosozialen Nebenwirkungen auffielen, zeigte sich in den CF-Kliniken nach der Zulassung ein anderes Bild: Immer wieder berichten Menschen mit Mukoviszidose nach dem Start der ETI-Therapie von psychosozialen Auswirkungen wie Ängsten, Depressionen, „Brain Fog“, Schlafschwierigkeiten u.ä.. Viele Fragen sind offen, das Thema wird aber wahrgenommen und angegangen. So führte die Europäische CF Gesellschaft ECFS im Rahmen der beliebten „Special CF Lunchtime Serie“ am 19.4.2023 ein Webinar zum Thema durch. Der Titel: „Modulators and psychosocial impact: What do we know?“ Eingeladen waren zwei Referentinnen aus Großbritannien: Dr. Guilia Spoletini (Leeds) und Dr. Rebecca Keyte (Birmingham).
Die Dreifachtherapie kombiniert die Wirkstoffe Tezacaftor, Elexacaftor und Ivacaftor. Foto: Mukoviszidose e.V.

Symptome variieren individuell sehr 

Dr. Keyte machte in ihrem Vortrag klar, dass die Wahrnehmung der neuen ETI-Therapie individuell sehr unterschiedlich sein kann. In ihrer Arbeitsgruppe wurden anhand einer kleinen Stichprobe (20 Erwachsene) drei Gruppen von psychosozialen Wirkungen identifiziert: 

  • bei denjenigen, die ETI um jeden Preis weiter einnehmen möchten: Ängste bestehen hier mehr darin, das neue Medikament wieder zu verlieren
  • bei denjenigen, die hauptsächlich mit einem neuen Selbstbild kämpfen, mit der Notwendigkeit ihre Identität und Zukunft neu zu denken und gleichzeitig mit den alten Traumata fertig zu werden: bereits bestehende psychosoziale Probleme können sich verstärken
  • bei denen mit gravierenden Nebenwirkungen nach Start der ETI-Therapie: Notwendigkeit die physische Gesundheit gegen die mentale Gesundheit abzuwägen

Die Nebenwirkungen traten z.T. sofort nach ETI-Therapie auf, manchmal aber auch erst nach einem Jahr Therapie. Als Nebenwirkungen in der dritten Gruppe wurden sehr unterschiedliche Erfahrungen berichtet: Ängste, Schwermut, dissoziative Störungen, „Brain Fog“ (Nebel im Gehirn), aber auch neurologische (Ohnmacht) und hormonelle Störungen (vaginale Blutungen). 

Psychosoziale Nebenwirkungen nach ETI-Einnahme in Leeds bei ca. 7%

Kaftrio hat definitiv Auswirkungen auf die physische Gesundheit: häufig eine verbesserte Lungenfunktion, weniger Exazerbationen und ein höheres Energielevel. Vor der Zulassung ging man außerdem davon aus, dass die zusätzliche Therapie eine Auswirkung auf die Therapielast haben würde, dass es Wechselwirkungen und Nebenwirkungen geben würde und dass es durch das steigende Lebensalter möglicherweise Folgeprobleme wie Krebs etc. geben würde. Auch psychosoziale Effekte wurden erwartet: z.B. eine neue Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung der Erkrankung, Änderungen bei der sozialen Unterstützung, Probleme mit der Rente und Vergünstigungen und auch der sogenannte „survivor‘s guilt“, also das schlechte Gefühl zu wissen, dass man selbst eine großartige Verbesserung durch das neue Medikament erlebt, das andere (Freunde) nicht bekommen können. Diesen Erwartungen – so Dr. Spoletini in ihrem Vortrag im ECFS-Webinar – würde sie heute eine Erkenntnis hinzufügen: dass ETI auch psychosoziale Nebenwirkungen verursacht. In ihrem Zentrum in Leeds waren weder in den klinischen Studien noch im Compassionate Use Programm danach solche Nebenwirkungen aufgefallen. Inzwischen wurde jedoch eine Studie mit 266 Patienten (unter ETI-Therapie) des Zentrums durchgeführt und 19 dieser Patienten (7%) zeigten psychosoziale Nebenwirkungen. Diese Zahlen sind noch verhältnismäßig klein und da die Zulassung von Kaftrio auch von der COVID19-Pandemie überschattet wurde, ist es nicht immer einfach heraus zu finden, was genau der Verursacher der Symptome ist. Zur Häufigkeit sind also sicherlich noch weitere Studien erforderlich. Laut Definition wären 7% aber tatsächlich eine häufige Nebenwirkung und das muss man auf jeden Fall weiterverfolgen. 

Individuell und gemeinsam entscheiden

Dr. Spoletini beschrieb außerdem ein Protokoll, das sie in Leeds zum Umgang mit Menschen mit Mukoviszidose und psychosozialen Nebenwirkungen nach ETI-Therapie entwickelt haben. Entscheidend ist dabei, dass es bisher keine universelle Lösung gibt. Von den 19 Patienten haben 4 die ETI-Therapie auf eigenen Wunsch abgebrochen, 13 haben die ETI-Dosis reduziert und 2 haben ETI weiter genommen, zusätzlich aber psychologische Unterstützung in Anspruch genommen. Für die Kontrolle der Dosisreduktion empfahl Dr. Spoletini die Messung des Schweißchlorids. Auch nach der Reduktion der Dosis (s. auch Studien zur Pharmakokinetik), lagen der Schweißchloridwert wie auch die Lungenfunktion bei den Patienten immer noch in einem guten Bereich. Aber nicht nur eine Dosisanpassung wurde versucht – auch die Anpassung von Begleitmedikation wegen möglicher Wechselwirkungen und Verhaltensänderungen („Schlafhygiene“ bei Schlafproblemen, also z.B. Verzicht auf Kaffee u.ä.) wurden individuell geprüft. 

Fast 140 Teilnehmer bei ECFS Webinar zu psychosozialen Nebenwirkungen von Kaftrio 

Die europäische Mukoviszidose-Fachgesellschaft ECFS hat u.a. zwei Arbeitsgruppen, die sich mit psychosozialen Wirkungen und der mentalen Gesundheit beschäftigen: die ECFS Psychosocial Special Interest Group and the ECFS Mental Health Working Group. Diese Gruppen richteten das Webinar „Modulators and psychosocial impact: What do we know?“ in der Special CF Lunchtime Serie“ am 19.4.2023 aus. Gekommen waren 138 Teilnehmer aus 36 Ländern – das Interesse war also groß. Auch in der Diskussion wurde klar, dass noch viele Fragen zum Thema offen sind. So lässt sich zurzeit noch kein Standardvorgehen ableiten, um die psychosozialen Nebenwirkungen anzugehen. Auch weiß man noch ganz wenig zu psychosozialen Nebenwirkungen von ETI bei Kindern. 

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Dr. Jutta Bend (JBend(at)muko.info).

In diesem Beitrag werden Wirkungen bzw. Nebenwirkungen von Arzneimitteln besprochen. Diese Informationen werden durch das Mukoviszidose Institut ohne den Einfluss Dritter nach bestem Wissen und Gewissen bereitgestellt. In keinem Fall ist damit eine Empfehlung für den Gebrauch oder Nichtgebrauch eines Arzneimittels verbunden. Patienten sollten vielmehr mit ihrem Arzt/ihrer Ärztin die für sie individuell richtige Therapie besprechen.

Quellen und weitere Informationen


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