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Bakterien können auch nützlich sein - Forscher aus Europa und USA diskutieren über „gute“ und „schlechte“ Keime in Lunge und Darm bei Mukoviszidose

Das Thema des diesjährigen Wissenschaftlichen Meetings des Mukoviszidose e.V. waren „Anti-infektive und anti-entzündliche Strategien zur Behandlung des CF-Mikrobioms“. Das Meeting zeigte, dass immer neue Fragen im Zusammenspiel von Keimen bei Mukoviszidose aufgeklärt werden können. Das ist der erste Schritt auf dem Weg der Entwicklung zielgerichteter Therapien.

Das Thema des Mikrobioms bei Mukoviszidose (Cystic Fibrosis, CF) ist hochaktuell, ging man doch lange Zeit davon aus, dass die Lunge eigentlich steril ist und in der gesunden Lunge keine Mikroorganismen vorkommen. Deswegen, so erklärte Frau Dr. Widder aus Wien in ihrem Vortrag über das komplexe Lungen-Mikrobiom bei CF-Patienten, wurde auch bei einem 2008 weltweit angelegten Mikrobiom-Projekt des Menschen („Human microbiome project“) die Lunge gar nicht berücksichtigt, sondern vor allem der Darm und die Mundhöhle unter die Lupe genommen. In der CF-Forschung ist die Entwicklung etwas anders: hier schauten die Mikrobiologen bislang hauptsächlich auf die Lunge und erst seit einigen Jahren widmen sich die Forscher auch vermehrt den Mikroorganismen im Darm von CF-Patienten.

Schon bei kleinen Kindern mit Mukoviszidose ist die Darmflora breits anders/verändert

Lucas Hoffman aus Seattle, USA, untersuchte mit seiner Arbeitsgruppe Stuhlproben von Kindern mit Mukoviszidose ab einem Alter von 2 Monaten bis zu einem Jahr. Bei diesen noch sehr jungen Kindern kann man davon ausgehen, dass viele noch keine oder nur wenige Antibiotika-Therapien erhalten haben und die Darmflora durch Antibiotika weitgehend unbeeinflusst ist. Lucas Hoffman zeigte durch seine Untersuchungen, dass bei den CF-Kindern im Vergleich zu gesunden Kontrollen bestimmte Bakterien vermehrt vorkommen (Gruppe der Proteobakterien), andere hingegen verdrängt werden (Gruppe der Firmicutes und Bacteroides). Da die Forscher durch die moderne Kultur-unabhängige Diagnostik (mehr Informationen dazu auf unserer Internetseite) auch Informationen erhalten, welche Gene bei den nachgewiesenen Bakterien aktiv sind (sog. Metagenom), können Rückschlüsse auf deren Verhalten und Lebensweise geschlossen werden. Dabei fiel auf, dass sich vor allem die Bakterien vermehren, die bestimmte Fettsäuren als Nahrungsgrundlage nutzen können, während andere Bakterien, die Fettsäuren bilden, verdrängt werden, wie z. B. Firmicutes und Bacteroides, die die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat bzw. Propionat herstellen.

Mukoviszidose: Unverdaute Fette als Nahrungsgrundlage für Bakterien?

Die Forscher aus Seattle vermuten, dass die gestörte Fettverdauung bei Mukoviszidose dazu führt, dass die Darmflora bei Mukoviszidose-Kindern im Vergleich zu gesunden Kindern schon früh verändert wird, da unverdaute Fette Nahrungsgrundlage für Bakterien, wie die Proteobakterien, sein können und daher diese einen Wachstumsvorteil gegenüber anderen Bakterien haben. Besonders interessant ist dabei der folgende Zusammenhang: von Bakterien hergestellte, kurzkettige Fettsäuren (small chain fatty acids = SCFA) wie Butyrat und Propionat wirken entzündungs-modulierend, so dass eine Veränderung der bakteriellen Besiedelung auch das Entzündungsgeschehen beeinflussen kann.
Dabei zeigte sich auch noch ein anderer möglicher Zusammenhang von Mikrobiom und Fettverdauung: Kurzkettige Fettsäuren sind auch wichtig bei der Regulation von Wachstumsprozessen.   Im Labor konnte die Arbeitsgruppe zeigen, dass fehlende Darmbakterien einen Einfluss auf das Längenwachstum von Mäusen haben. Ob diese Beobachtung auch beim Menschen bzw. der Entstehung der Mukoviszidose-Symptomatik durch die Veränderung der Darmflora eine Rolle spielt, wird die Arbeitsgruppe nun in weiteren Experimenten untersuchen. Diese Untersuchungen sind wichtig, um Ansatzpunkte für neue Therapien zu entwickeln. Ob z. B. die Verabreichung von kurzkettigen Fettsäuren bei Mukoviszidose sinnvoll wäre, müssen weitere Untersuchungen nun zeigen.

Eine vielfältige bakterielle Lebensgemeinschaft erhält die Lunge gesund

Michael Tunney aus Belfast, UK, fokussierte sich in seinem Vortrag auf die mikrobielle Besiedelung der Lunge. Die herkömmliche Diagnostik durch Anzucht der Bakterien aus Sputumproben ist etabliert und geeignet die typischen CF-Keime sicher nachzuweisen. Aus vielen Publikationen kennt man die Abbildung, dass bei jüngeren CF-Patienten Staphylococcus aureus am häufigsten nachgewiesen wird, bei älteren CF-Patienten dann meist Pseudomonas aeruginosa. Dieser Nachweis beruht jedoch auf der Kultur-abhängigen Diagnostik und zeigt vor allem das Keimspektrum, das unter aeroben (d. h. mit Sauerstoff) Kulturbedingungen am besten wachsen kann. Das ist jedoch nur ein kleiner Teil der Atemwegsflora, wie man inzwischen weiß. Weitet man die Kulturbedingungen auf anaerobe Bedingungen aus (d. h. unter Sauerstoffentzug), so sieht man, dass aus Sputumproben auch viele anaerobe Bakterien nachgewiesen werden können. Ein noch detaillierteres Bild erhält man durch die Kultur-unabhängige mikrobielle Diagnostik. Diese bestätigt, dass in der gesunden Lunge verschiedene, auch anaerobe Bakterien nachgewiesen werden können und typische Bakteriengruppen (wie Firmicutes und Bacteroides) auf eine stabile, gesunde Lebensgemeinschaft hinweisen. Diese Vielfalt an Mikroorganismen, die mit herkömmlichen Kulturbedingungen nicht gezeigt werden kann, ist ein Zeichen für eine gesunde Lunge.

Können CFTR Modulatoren die gesunde mikrobielle Flora in der Lunge wiederherstellen?

Gerät die mikrobielle Flora aus den Fugen sprechen die Kliniker von „Dysbiose“. Eine Dysbiose und der vermehrte Nachweis von verschiedenen Bakterien aus der großen Gruppe der Proteobakterien ist für Michael Tunney ein Anzeichen für eine chronische Infektion. Die Frage ist, ob eine gesunde Besiedelung der Lunge wiederhergestellt werden kann. Die Arbeitsgruppe von Michael Tunney untersucht derzeit, wie sich die mikrobielle Flora von CF Patienten unter der CFTR-Modulator-Therapie mit Ivacaftor verändert. Erste Ergebnisse deuten auf eine Veränderung der mikrobiellen Besiedelung hin, jedoch kann noch nicht beurteilt werden, ob der gewünschte Effekt stabil erreicht werden kann. Es werden in naher Zukunft sicherlich weitere Ergebnisse zu erwarten sein.

Gefährliche Pseudomonas aeruginosa Stämme früher erkennen

Susanne Häußler aus Braunschweig ist Pseudomonas aeruginosa-Expertin und interessiert sich vor allem für das komplexe Wachstum dieser Keime in Biofilmen. Ihr großes Ziel ist es, diagnostisch besser voraussagen zu können, welche Pseudomonas-Stämme besonders gefährlich sind und welche Antibiotika trotzdem noch wirken, auch wenn sich das Bakterium in einem komplexen Biofilm in der Lunge versteckt. Herkömmliche Resistenztestungen gelangen hierbei meist an ihre Grenzen. Über eine Kultur-unabhängige Diagnostik sollten Gene, die das Bakterium besonders aggressiv machen oder Resistenzen vermitteln, schnell und sicher zu erkennen sein. In der Realität ist es bislang jedoch noch nicht so einfach, stabile Pseudomonas-typische „Markergene“ zu identifizieren, die diagnostisch genutzt werden können, um besonders gefährliche Pseudomonas aeruginosa Stämme zu detektieren und darüber eine zielgenaue Therapie abzuleiten. Die Arbeitsgruppe ist methodisch jedoch bestens aufgestellt, um dieses Thema zu bearbeiten und es ist zu erwarten, dass die Kombination aus Bioinformatik und klinischer Mikrobiologie die Pseudomonas-Diagnostik und -Therapie zukünftig deutlich verbessern wird.

Weniger Entzündungsmarker bei vielfältiger mikrobiellen Besiedelung

Auch in der Arbeitsgruppe von Sébastian Boutin in Heidelberg ist die Kultur-unabhängige Diagnostik etabliert. Er untersuchte mit der sogenannten „16S Methode“ Sputum von über 70 erwachsenen, gesundheitlich stabilen CF-Patienten. Ihn interessierte die Frage, ob und wie die im Sputum nachweisbaren Bakterien mit Entzündungsmarkern (u. a. IL-8 und neutrophile Granulozyten) im Sputum korrelieren. Auch er erhielt als Ergebnis, dass die Vielfältigkeit in der mikrobiellen Flora anscheinend wichtig ist, um das Entzündungsgeschehen im Griff zu halten: Patienten mit einer vielfältigen Besiedelung der Lunge hatten weniger neutrophile Granulozyten und weniger Entzündungsmarker in ihrem Sputum. Konnte hingegen vermehrt Pseudomonas aeruginosa nachgewiesen werden, so nahmen auch die Entzündungsmarker zu.  Boutin deutete darauf hin, dass anhand typischer Bakterien auf den Entzündungsstatus der Lunge geschlossen werden kann. Der häufige Nachweis von Pseudomonas aeruginosa ist dabei ein deutliches Zeichen für einen pro-entzündlichen Zustand der Lunge, während dieses Phänomen bei massivem Staphylococcus aureus Nachweis von ihm nicht beobachtet wurde. Anzeichen für einen anti-entzündlichen Zustand der Lunge ist hingegen der vermehrte Nachweis von Prevotella melaninogenica und anderen anaeroben Bakterien. Auch diese Arbeitsgruppe zeigte demnach, dass die Vielfältigkeit der mikrobiellen Besiedelung ein Kennzeichen der gesunden Lunge ist.  

Viele Stellschrauben beeinflussen das Mikrobiom

Stefanie Widder aus Wien referierte über die Komplexität des CF-Mikrobioms. Untersuchungen von CF-Sputumproben in Kooperation mit einer amerikanischen Arbeitsgruppe zeigt eindrücklich, wie komplex das Mikrobiom der Lunge ist und welche verschiedenen Einflussfaktoren auf das Gleichgewicht einwirken. Sie unterscheidet dabei die folgenden Wirkmechanismen, die in der Mikrobiomforschung berücksichtigt werden müssen: die Lunge ist nicht homogen in Bezug auf die mikrobielle Besiedelung, sondern es gibt Lungenareale mit unterschiedlichen Bedingungen und unterschiedlichen mikrobiellen Lebensgemeinschaften. Durch Co-Kolonisation beeinflussen sich die Bakterien gegenseitig, dieser Einfluss kann positiv (synergistisch) sein oder auch negativ (kompetitiv). Darüber hinaus sind Bakterien flexibel in ihrer Lebensweise und der Energiestoffwechsel kann den äußeren Gegebenheiten schnell angepasst werden.

Verschiebungen im Stoffwechsel der Bakterien können die Immunabwehr beeinflussen

Demnach ist die Mikrobiom-Forschung eine methodisch sehr anspruchsvolle Forschung, die o. g. Einflussmöglichkeiten wirken als empfindliche Stellschrauben und verändern die mikrobielle Lebensgemeinschaft. Für die Erforschung des komplexen Lungenbioms sind verschiedene moderne Untersuchungsmethoden notwendig. Auch mathematische Simulationen, basierend auf komplexen Geninformationen von möglichst vielen klinischen Proben, kommen in ihrer Arbeitsgruppe zum Einsatz. Gute Mikrobiomforschung kann eigentlich nur an großen, repräsentativen Probensammlungen durchgeführt werden und an der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse sind in der Regel Bioinformatiker beteiligt. Anhand ihrer Untersuchungen zum Mikrobiom der Lunge stellt Frau Widder die Vermutung auf, das ein gesundes Mikrobiom über Stoffwechselprodukte die Immunabwehr im Gleichgewicht behält und erst durch eine Verschiebung des bakteriellen Stoffwechsels - und damit Veränderung des Mikrobioms - Signalstoffe entstehen, die eine überschießende Immunabwehr der Wirtszellen provozieren.

 

Hintergrundinformationen

Das Mikrobiom verrät auch etwas über die Fähigkeit von Mikroorganismen

Die Bezeichnung „Mikrobiom“ ist inzwischen oft in den Medien, doch was damit gemeint ist, ist nicht immer ganz klar. Umgangssprachlich wird der Begriff meist für die Gesamtheit aller Mikroorganismen verwendet, die sich in einem Lebensraum (z. B. Darm oder der Lunge) tummeln. Die modernen Methoden der kultur-unabhängigen Diagnostik zwingen die Forscher allerdings zu einem genaueren Sprachgebrauch: Unter „Mikrobiota“ verstehen die Forscher die Lebensgemeinschaft von Bakterien (z. B. die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm). „Mikrobiom“ meint im Sprachgebrauch der Experten eigentlich noch mehr, denn sie sprechen nur dann vom Mikrobiom, wenn sie nicht nur wissen welche Mikroorganismen in einem Lebensraum nachgewiesen wurden, sondern auch welche Gene vorhanden sind bzw., ob z. B. sie krankmachende Faktoren ausschütten oder Resistenzen vermitteln – ein wesentlicher Unterschied, wenn es darum geht zu beurteilen, ob ein Bakterium schädlich oder eher nützlich ist. Untersuchungen des Mikrobioms werden durch „Metagenom-Analysen“ durchgeführt, während die einfache Detektion der Bakterien durch die „16S“ Analyse möglich ist (s. a. Kasten Kulturunabhängige Diagnostik).

Kultur-unabhängige mikrobiologische Diagnostik

Die Kultur-unabhängige Diagnostik beruht auf der Gensequenzierung. Die in einer Probe vorhandenen Bakterien verraten sich dabei durch ihre spezifischen Genesequenzen. Grundsätzlich unterscheidet man zwei verschiedene Möglichkeiten: Die „16S-Methode“ identifiziert ausschließlich Bakterien (keine Viren und Pilze) anhand kurzer Gensequenzen, den ribosomalen Genen (16S rRNA-Gene kommen nur in Bakterien vor). Mit dieser Methode kann man inzwischen relativ schnell und kostengünstig Proben untersuchen und bestimmen, welche Bakterien darin vorkommen, d. h. die Frage beantworten: „Wer ist da?“.

Die „Metagenom-Analyse“ ist aufwändiger und auch zeit- und kostenintensiver. Bei einer Metagenomanalyse wird die Gesamtheit aller Gene in einer Probe bestimmt, d.h. alles wird sequenziert. Diese Methode informiert über alle Organismen, die in einer Probe vorkommen, einschließlich Viren und Pilze. Durch diese Methode wird aber nicht nur der Nachweis erbracht, welche Mikroorganismen in der Probe sind, sondern es wird auch anhand der Information über alle Gene (z.B. Virulenz- oder Resistenz-Gene) die Frage beantwortet: “Was können die Mikroorganismen tun?“.
Die Kultur-unabhängige Diagnostik hat in den vergangenen Jahren wichtige Ergebnisse für die Mukoviszidose Forschung geliefert, da die Vielfältigkeit und Variabilität der mikrobiellen Besiedelung der Lunge erst durch diese Technik sichtbar wurde.

Die Möglichkeiten und Anwendung der Kultur-unabhängigen Diagnostik werden sich sicherlich in den nächsten Jahren weiterentwickeln, denn Gensequenzierungen können immer kostengünstiger durchgeführt werden. Je mehr Sequenzdaten jedoch generiert werden, desto aufwändiger wird die bioinformatische Verarbeitung der Daten, so dass auch gute mathematische Modelle zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse immer wichtiger werden.

Weitere Informationen zum diesjährigen Wissenschaftlichen Meeting des Mukoviszidose e.V. im Abstract Band (PDF).

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Dr. Sylvia Hafkemeyer (shafkemeyer(at)muko.info).


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