Bericht einer Fallstudie aus Belgien
Im Fall eines 12-jährigen belgischen CF-Patienten wurde eine Therapie mit Bakteriophagen gegen eine chronische Infektion mit Achromobacter xyloxidans angewendet. Der Patient war Doppel-Lungen-transplantiert worden und hatte bereits vorher eine Infektion mit einem hochresistenten A. xyloxidans. Nachdem der Keim auch nach der Transplantation in der Lunge trotz verschiedener antibiotischer Therapien auftrat und sich der klinische Zustand des Patienten verschlechterte, wurde im Braunschweiger Leibniz-Institut DSMZ ein Bakteriophagen-Cocktail mit drei lytischen Bakteriophagen gegen A. xyloxidans produziert.
Dabei werden Bakteriophagen gegen das Patientenisolat im Labor auf ihre Wirksamkeit getestet, um die Bakteriophagen-Therapie Patienten-individuell, d. h. abgestimmt auf die vom Patienten isolierten Bakterien, anbieten zu können. Die Bakteriophagen-Therapie, die der belgische CF-Patient über zwei Tage dreimal täglich inhalierte, war sehr gut verträglich, aber die Bakterien waren danach weiterhin in der Lunge nachweisbar, und der klinische Zustand des Patienten besserte sich nicht.
Daraufhin wurde eine zweite Bakteriophagen-Therapie angewendet, die einen zusätzlichen Bakteriophagen enthielt. Der neue Cocktail wurde während einer Bronchoskopie direkt in die Lunge eingebracht, und der Patient inhalierte den Bakteriophagen-Cocktail über weitere zwei Wochen täglich dreimal. Beide Bakteriophagen-Therapien wurden durch eine Antibiotika-Therapie begleitet. Nach der zweiten Bakteriophagen-Therapie verbesserte sich der klinische Zustand des Patienten nur langsam und nach wie vor blieben A. xyloxidans in der Lunge nachweisbar. Erst nach drei Jahren, während derer sich der Patient vollständig erholte, wurden keine A. xyloxidans mehr in der Lunge nachgewiesen.
Bakterien können auch Resistenzen gegen Bakteriophagen ausbilden
Um der Frage auf den Grund zu gehen, warum die Bakteriophagen-Therapie keine eindeutigere und schnellere Wirkung zeigte, wurden A. xyloxidans-Isolate aus dem Patienten vor und nach den Bakteriophagen-Therapien genetisch und hinsichtlich der Resistenz gegenüber den Bakteriophagen untersucht. Eine Entwicklung von Resistenzen konnte bei einigen Bakterien-Isolaten festgestellt werden – bei einigen sogar auch, obwohl diese sich genetisch gar nicht verändert hatten. Die Autoren führen epigenetische Faktoren als mögliche Ursache an. Epigenetische Faktoren sind erst seit einigen Jahren bekannt, und darunter versteht man regulatorische Prozesse, die bestimmen, welche Gene vorübergehend aktiv bzw. stillgelegt werden. Ohne dass eine Veränderung in den Genen stattfindet, können dennoch andere Eigenschaften ausgeprägt werden.
Sie fanden aber auch ein Bakterien-Isolat mit genetischen Abweichungen zum ursprüngliche A. xyloxidans-Stamm, die darauf hinweisen, dass sich mit dieser Gen-Veränderung eine Resistenz gegenüber den Bakteriophagen entwickelt haben könnte. Möglicherweise führte das zu einer Veränderung in einer Andockstelle, so dass die Bakteriophagen nicht mehr so leicht in das Bakterium eindringen können. Nicht untersucht wurde, ob sich die Bakteriophagen im Verlauf der Therapie verändert hatten, z.B. durch Anpassung an die Veränderung der Bakterien.
Anteil der Bakteriophagen an klinischer Verbesserung unklar
Unklar blieb, warum es so lange Zeit dauerte, bis sich der Patient klinisch verbesserte. Letztlich konnte in der Fallstudie nicht bewiesen werden, dass das Verschwinden des A. xyloxidans auf die Bakteriophagen-Therapie zurückzuführen war und nicht andere Ursachen hatte. Die klinische Verbesserung könnte auch spontan eingetreten sein, es sei aber auch möglich, so schreiben die Autoren, dass die Entwicklung von Resistenzen gegen die Bakteriophagen auf Kosten der bakteriellen Virulenz oder Fitness gegangen ist, so dass die Bakteriophagen-Therapie durchaus zur klinischen Verbesserung beigetragen haben könnte.
Bakteriophagen-Therapien sind (noch) sehr experimentell - systematische klinische Forschung ist notwendig
Der Fall des 12-jährigen Patienten zeigt, wie komplex die Dynamik der Kolonisation der Atemwege ist. Die Wirksamkeit von Bakteriophagen-Therapien im Menschen müssen unbedingt durch größere klinische Studien untersucht werden, um diese Dynamik zwischen Bakterien und Bakteriophagen besser zu verstehen und die Therapie zu optimieren. In der publizierten Fallstudie weisen die Autoren auf ein wichtiges noch ungelöstes Problem hin. Bakteriophagen sind biologisches Material – und zudem nur als Therapie denkbar, wenn Patienten-individuell die passenden Bakteriophagen ausgewählt werden. Das stellt die Zulassung von Bakteriophagen als Medikament derzeit noch vor Herausforderungen. Auch in dem hier beschriebenen Fall in Belgien konnten die Behandler nicht kurzfristig mit der Therapie beginnen, da zunächst die richtigen Bakteriophagen identifiziert und in einer reinen und definierten Lösung hergestellt werden mussten. Entsprechend vergingen Tage bis Wochen, ehe die Bakteriophagen-Therapie verwendet werden konnte – sicherlich wichtige Zeit, die auch Einfluss auf den Erfolg einer Therapie nehmen kann.
AREST-CF Gruppe aus Australien sieht viel Potenzial in der Bakteriophagen-Therapie
Eine aktuelle Übersichtspublikation einer australischen CF-Arbeitsgruppe (AREST CF) sieht gute Chancen auf eine Bakteriophagen-Therapie in der klinischen Versorgung innerhalb der nächsten fünf Jahre – wenn die nächsten Jahre international, kooperativ, transparent und systematisch geforscht wird. Bislang ist die Bakteriophagen-Therapie (wie in der oben beschriebenen Fallstudie) nur im „Compassionate use Programm“ möglich. Das heißt, wenn keine andere zugelassene Therapie verfügbar ist und es dem Patienten klinisch sehr schlecht geht, können Bakteriophagen als Therapieversuch verabreicht werden. Die Publikation über den klinischen Erfolg - oder auch Misserfolg - solcher Einzelfallanwendungen sind daher sehr wichtig, um daraus zu lernen. Große, systematische klinische Studien sind auf dem Weg in die klinische Routine dennoch notwendig, aber bei einer solchen Patienten-individuellen Therapie nicht einfach durchzuführen – letztendlich benötigt jeder Patient sein eigenes Prüfpräparat.
Gute präklinische Forschung benötigt gute Modelle
Auch die präklinische Forschung zur Bakteriophagen-Therapie, so schreiben die Autoren, muss mit einigen Schwierigkeiten kämpfen: Bakteriophagen sollen bei einer chronischen Besiedelung eingesetzt werden. Bei chronischen Infektionen sitzen die Bakterien aber oft gut geschützt in Biofilmen und sind schlecht zugänglich. Es gibt kein richtig gutes Tier- oder Zellkulturmodell, in dem diese chronische Besiedelung, wie sie bei CF-Patienten in der Lunge vorkommt, gut nachgestellt wird. Viel Wissen über die Wirkung von Bakteriophagen stammt daher aus der Zellkultur. Dort sind freischwimmende Bakterien ein viel leichteres Zielals in einer verästelten und mit Schleim belegten Lunge. Und auch die körpereigene Immunabwehr, die ja auch ihre Rolle in der Dynamik des pulmonalen Infektionsgeschehens spielt, wird in vielen Modellen ausgeblendet. Ohne gute präklinische Untersuchungen ist der Schritt in die klinische Forschung eigentlich nicht möglich.
Forschung zu Bakteriophagen-Therapien findet immer häufiger statt
In vielen Ländern gibt es inzwischen Arbeitsgruppen, die sich dem Thema verschrieben haben. Die Australische AREST-CF-Gruppe erwartet ein exponentielles Wachstum in der Bakteriophagen-Forschung in den nächsten Jahren.
Immerhin sind die ersten Plazebo-kontrollierten CF-Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit von Bakteriophagen-Therapien in den USA gestartet:
- CYstic Fibrosis bacterioPHage Study at Yale (CYPHY)
- Ph 1/2 Study Evaluating Safety and Tolerability of Inhaled AP-PA02 in Subjects With Chronic Pseudomonas Aeruginosa Lung Infections and Cystic Fibrosis (SWARM-Pa)
Und auch in Deutschland berichtet die Phage4Cure-Gruppe, dass eine klinische Studie zur Untersuchung eines inhalierbaren Bakteriophagen-Präparates 2021 gestartet werden soll.
Unsere letzten Berichte zur Bakteriophagen-Therapie:
Fachliteratur:
- Lebeaux D, et al. A Case of Phage Therapy against Pandrug-Resistant Achromobacter xylosoxidans in a 12-Year-Old Lung-Transplanted Cystic Fibrosis Patient. Viruses. 2021 Jan 5;13(1):60. doi: 10.3390/v13010060.
- Ng, R.N. et al. Overcoming Challenges to Make Bacteriophage Therapy Standard Clinical Treatment Practice for Cystic Fibrosis, Front Microbiol; 2021 Jan 11;11:593988. doi: 10.3389/fmicb.2020.593988.